Digitales Pilotprojekt "stift@work" Rückblick und Ausblick

Wie schaffen wir es, unsere Gebäudetechnik-Berufe attraktiv und zukunftsorientiert darzustellen? Durch Vorbilder! Also lancieren wir im Herbst 2021 ein digitales Pilotprojekt zur gezielten Nachwuchsförderung.

Die Technologien in der Gebäudetechnikbranche hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Ausbildungszeit hat sich von drei auf neu vier Jahre verlängert. Das Image der Berufe ist aber noch nicht so modern, wie wir es gerne hätten. In den Köpfen sehen sich die Jugendlichen Toiletten auspumpen und Dreck beseitigen. Oft gelten Handwerksberufe als minderwertig. Doch das sind #Fakenews. Die Digitalisierung schreitet auch bei uns stark voran. Das Berufsbild verändert sich. Die Zeiten der alten, starren Strukturen sind vorbei. Genau diese Dynamik wollen wir rüberbringen.

Der Fachkräftemangel ist ein leidiges Thema. Nachwuchs fehlt auch in der Gebäudetechnikbranche. Nicht nur national ist das bekannt, auch regional drückt das Thema den Nerv. Doch was tun? Jammern bringt nichts. Ein digitales Pilotprojekt wird ins Leben gerufen. Der Verband suissetec Nordwestschweiz startet im Herbst 2021 eine gezielte Kampagne zur Nachwuchs- und Imageförderung. Ziel ist es, Schüler:innen für die Berufe der Branche zu begeistern. Gleichzeitig möchte sich der Verband innovativ positionieren. Die Verantwortlichen sind sich bewusst: es geht nicht nur darum, Jugendliche für die Berufe zu begeistern, es geht auch darum, Branchenmitglieder fürs Thema Content-Marketing zu sensibilisieren.

Als Hauptzielgruppe fürs Pilotprojekt 2021 werden Schüler:innen im Alter von 12 und 14 Jahren definiert. In der zugrundeliegenden Content-Strategie geht es um die Konkretisierung. Wie soll suissetec Nordwestschweiz über Social Media auf sich aufmerksam machen? Wie sollen potenzielle Lernende erfahren, welche Eigenschaften helfen, um eine Lehre anfangen zu können? Gibt es Geheimtipps von Lernenden für künftige Lernende? In der Sprache von Gleichgesinnten sollen coole, verständliche Videos produziert werden. Über Instagram Reels, Tiktok oder über Stories soll Aufmerksamkeit generiert werden. Die lange Videoversion ist über Youtube auffindbar. Auf der Projekt-Landingpage wird stift@work vorgestellt und der Zugang zum Eignungstest als Handlungsaufforderung festgelegt.

Die Berufsschau wird genutzt, um die Grundidee zu testen

An der Berufsschau im Oktober 2021 werden Lernende direkt angesprochen. Denn in der Ausgangslage des Pilotprojekts ist noch nicht klar, ob sich Lernende überhaupt zur Verfügung stellen würden. Würden sie als Influencer für die Branche in Action treten? Wie würden sie sich vor der Kamera machen? Wie oft würden sie ein Video produzieren können? Würden die Lehrbetriebe die Chance erkennen? Denn die Jugendlichen kämen mit zusätzlichem Knowhow in den Lehrbetrieb zurück. Sie würden jedoch auch auf Baustellen fehlen. Mit all diesen Fragen startet das Pilotprojekt an der Berufsschau in Liestal.

Schon zu diesem Zeitpunkt hätte das Pilotprojekt scheitern können. Die Jugendlichen hätten null Interesse zeigen können, die Lehrbetriebe hätten sich dagegenstellen können. Dann hätte die suissetec Nordwestschweiz die Gründe für die Ablehnung geprüft und hätte allenfalls das Pilotprojekt überarbeitet. Doch zwei Lernende stellen sich zur Verfügung. Am runden Tisch werden Projektinhalte und vertragliche Rahmenbedingungen geklärt. Ronja Schaub und Leo Demond erhalten Equipment für Video und Ton zur Verfügung gestellt. Die Reise ins Content-Marketing beginnt.

Im Dezember stellen sich die beiden Gebäudetechniker vor. Die 17-jährige Ronja Schaub ist bei Dalhäuser und Ledermann AG in Muttenz seit Sommer 2020 in der Ausbildung zur Spenglerin EFZ. Sie will Einblicke in ihren Berufsalltag vermitteln und so andere Jugendliche für ihren Beruf begeistern. Der 20-jährige Leo Demond lernt bei der Tschantré AG in Basel Heizungsinstallateur EFZ. Begleitet werden sie von Pascal Küffer, der sich als Interactive Media Designer bei der Kommunikationsagentur diffrent design gmbh in Ausbildung befindet. Er zeigt den beiden Handwerkern den Umgang mit den neuen Medien und hilft ihnen bei der Umsetzung. Ziel ist es, dass sie künftig allein Videos produzieren und diese via youtube.com teilen.

Das zweite Video wird im Januar 2022 produziert. Ronja Schaub hat auf einer Baustelle der Dalhäuser und Ledermann AG aus Muttenz in Basel aufgezeigt, für was es einen Blitzschutz am Gebäude braucht. Die beiden Lernenden sind keine Medienprofis. Sie lernen im Rahmen dieses Pilotprojekts den Umgang mit den neuen Medien. Man spürt die Nervosität. Gleichzeitig sind alle Beteiligten stolz. Stolz auf den Mut der beiden Gebäudetechniker in Ausbildung. Stolz auf den Innovationscharakter des Projekts. Bei neuen Wegen weiss man nicht genau, wohin sie führen. Bei einem Pilotprojekt prüft man, was geht und was eben nicht. Allen ist klar, es braucht mehr Spontanität. Adriano Cotti muss her. Die ursprüngliche Idee, alles den Lernenden zu überlassen, sorgt allenfalls für Druck. Im Pilotprojekt geht es auch darum, verschiedene Szenarien auszuprobieren.

Es reicht nicht, nur gute Videos zu produzieren

Im zweiten Schritt liegt der Fokus auf der Reichweite. Denn: Es reicht nicht, einfach gute Videos zu produzieren. Die Thematik rund um Content-Marketing ist einiges komplexer. Nur mit gezieltem Controlling könne Content-Marketing verbessert werden. Im Pilotprojekt holt sich suissetec Nordwestschweiz externe Beratung. Langfristig müsste die Distribution jedoch eigenständig über den Verband laufen. Ob das mit den vorhandenen Ressourcen möglich ist, bleibt zu diesem Zeitpunkt noch abzuwarten.

Mit dem dritten Video im Februar 2022 geht auch die Landingpage stiftatwork.stnws.ch online. Sie stellt die Vision ins Zentrum und präsentiert die Protagonisten. Die Lernenden erhalten von ihren Lehrbetrieben pro Monat einen halben Tag Zeit fürs Pilotprojekt. Das ist für die Reichweite und den Erfolg in Social Media eher wenig, deshalb müsste zukünftig mit mehreren Teams gearbeitet werden. Es müssen mehrere Kurzvideos entstehen, die dazwischen geteilt werden können. Zum ersten Mal steht auch Bildungsleiter Adriano Cotti vor der Kamera. Auch er merkt schnell, dass es vor der Kamera deutlich mehr braucht, als einfach hinten dran zu stehen und dumme Sprüche zu klopfen. Nur, wenn alle Beteiligten vergessen, dass sie vor der Kamera stehen, kann sich das Resultat sehen lassen. Das dritte Video wirkt lockerer, denn alle wissen: nur Übung macht den Meister. Aber es wird auch klar, dass das Social-Media-Projekt nebenbei Zeit frisst. Es sind die normalen Auf und Abs in Entwicklungsprozessen.

Bis heute sind in fünf Videos an vier Drehterminen mit drei Lernenden und unzähligen Stunden Arbeit ins Pilotprojekt stift@work des Gebäudetechnikverbands suissetec Nordwestschweiz investiert worden. Es ist komplex, braucht Flexibilität und Ressourcen – mehr als erwartet. Pilotprojekte sind dafür da, neue Wege auszuprobieren und zu entscheiden, wie sie weitergehen. Die Verantwortlichen von suissetec Nordwestschweiz sind sich einig: die Grundidee, dass Lernende den Umgang mit Kommunikation und den sozialen Medien kennenlernen, überzeugt nach wie vor. Aber es braucht einfach noch mehr Support der Branche. Sonst kommt das Projekt nicht zum Fliegen.

Nun stellt sich die Frage: wie weiter?

Das Pilotprojekt ist mit der Generalversammlung vom 12. Mai 2022 abgeschlossen. Es wird Zeit, sich im Sommer mit den Resultaten auseinanderzusetzen und bis im Herbst 2022 zu entscheiden, in welcher Form das Projekt weitergehen soll. Es ist wichtig, die Branche für die Thematik des Content-Marketings zu sensibilisieren. Denn die Jugendlichen interessieren sich bei der Berufswahl vor allem auch für den Betrieb. Wie ist das Arbeitsklima? Wie gut ist die Weihnachtsfeier? Genau solche Inhalte sollte ein Betrieb über Social Media kommunizieren. Hier besteht Handlungsbedarf. Vielleicht ergibt sich auch die Möglichkeit einer Arbeitsgruppe mit interessierten Mitgliedern?

Eines ist sicher: die Protagonisten sind entscheidend. Es ist utopisch, jedes Jahr neue Lernende aufzubauen. Dieses Thema muss überdacht werden. Das Projekt muss eigenständiger laufen können und nicht so stark von einer Agentur begleitet werden. Vielleicht müsste man die Perspektive in den Videos ändern, die Kamera könnte auf einem Stativ stehen? Die Zuschauer:innen müssen mitgerissen werden. Kurze, authentische Sätze und eine spannende Erzählweise helfen.

Die Themen müssen sehr einfach formuliert werden, denn die Schüler:innen wissen noch nicht einmal, wie die Berufsbezeichnungen lauten. Hier braucht es Unterstützung von Schüler:innen im Alter der definierten Zielgruppe. Auch wichtig: Im Vorfeld muss das Thema klar sein und in jedem Video sollte bestenfalls eine Aha- oder Wow-Szene vorkommen. Es geht nicht um Kurzvorträge. Es geht um Neugier und um die Frage, was dicke Drähte auf dem Dach suchen… All diese Gedanken sollen in die Projektevaluation einfliessen.